Humor als Herausforderung in der Pandemie
„Wenn nichts mehr geht, geht was!“
„Und was geht?“
„Das, was du dir hast träumen lassen…!“
Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und keiner ginge mal nachsehen, wo man hinkäme, wenn man hinginge. “ (Kurt Marti)
Angesichts der Corona-Pandemie wurde das Selbstverständnis von vielen von uns auf den Kopf gestellt. Plötzlich haben sich die Realitäten umgestülpt und wir auch. Da kam in uns zum Vorschein, was als Ressource tatsächlich da war. Und schonungslos hat die Pandemie uns gezwungen, uns vor den Spiegel der eigenen Person zu stellen. Und was sehen wir in diesem Spiegel? Uns selbst als Clowns und Humorberater – oder sollten wir sagen: unser inneres Kind? In diesem Spiel sehen wir unsere Lebensangst, unseren Kummer, unsere Verbundenheit und Liebe und unsere Sehnsucht nach Glück ebenso wie nach Freude und guten Momenten. Und da gibt es innere Kinder, die verzweifeln und andere, die mutig trotzen.
Das Trotzdem des Kindes, das auf den Boden stampft, die Tränen abwischt und seine Ärmel hochkrempelt, meldet sich. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es fühlt, was es fühlt, dass es zulässt, was ist und dann genau hinschaut, hinter welcher Ecke sich neue Spielplätze auftun, trotz allem…
So bin auch ich losgegangen, nachdem mir, wie allen, plötzlich der Schreck in die Glieder gefahren ist, als plötzlich nichts mehr ging. Keine Auftritte, keine Seminare,
keine Bühne mehr… Da ging die innere Bühne aber auf. Ich betrat sie, ohne es richtig zu bemerken. Und als ich sie annahm, hat sie sich besser angefühlt als gedacht. Es ging was.
Ich habe Schulungen für online-Seminare besucht und geschaut, was mir gefällt und was nicht. Und von Online-Meeting zu Online-Meeting fing ich an, Ideen zu spinnen, wie Humor online gehen kann. Und es ging…
Da kam ein Element zum anderen. Ich habe gemerkt, wie ich Freude und Spaß entwickelt habe, den neuen Online- Spielplatz zu nutzen, um mit anderen Freude zu haben. Klar ist Resonanz online anders als live. Aber viel besser als nichts. Dann habe ich angefangen online Humorseminare und Fortbildungen zu entwickeln,
interaktiv, leibhaftig mit Körperübungen. Es ist gelungen die Daheimgebliebenen zum Aufstehen zu bewegen und das Entscheidende war: Sie hatten Spaß. Und ich erst!
Wie ein Kind bin ich auf die Suche gegangen nach neuen Spielzeugen, nach einer zweiten Kamera, nach neuen Ideen und Übungen, um interaktiv mit anderen was zu tun und zu erleben. Raus aus der häuslichen Isolation. Und es ging.
Da kamen nach Seminaren plötzlich Auswertungen von Teilnehmenden, wie etwa die folgenden:
Ich werde mir einen Meterstab suchen (lachen und messen) …
Wie wichtig das Spielen sowie das Spiegeln ist und dass wir alle verrückt sein sollen. Ich musste sehr oft an meine Kinder im Kindergarten denken, denn sie spiegeln uns täglich. Es ist besonders schön, mit Kindern zu arbeiten. Ich möchte mich für das Seminar bedanken und ich konnte sehr viel auch für mich persönlich mitnehmen.
Das Gehörte verkosten und wirken lassen. Entspannen, entspannen, entspinnen… Ich, Du, Ja, Nein…
Ich bin dankbar, wieder ein Stück weit mit dem inneren Kind in Berührung gekommen zu sein!
Sehen und gesehen zu werden – Ansehen bekommen! Die Leichtigkeit des Seins spüren.
Ich habe das Seminar nicht als Fachseminar erlebt, sondern als persönliche Unterstützung. Bin sehr dankbar dafür.
Das Leben im Alltag öfters aus der anderen Perspektive anschauen, die Magie des Moments genießen, öfters ins Spiel finden und den Kindern damit ein Vorbild sein, damit sie imitieren können… Ich bin dankbar, es war so wertvoll mit euch!
Ich fühle mich bestätigt und ermutigt, meinen Unterricht nicht „besser“ (perfekter) zu planen, sondern: auf das „Inter-esse“ meines inneren Kindes und vor allem das der Kinder zu achten.
Jetzt ist für mich dran: das Gehörte/Erfahrene noch nachklingen/ wirken zu lassen und mich drauf zu verlassen, dass was nachwirkt.
Es hat auch Spaß gemacht. Ich werde manches in der Praxis umsetzen. Danke für die schönen Zitate.
Ich fühle mich durch und durch bestätigt.
Ich bin Humor, du bist Humor – wir sind Humor – H(ier,) U(m) M(iteinander) O(rdentlich) R(ückhaltlos) zu lachen. DANKE!
Oh, ich habe alles in den CHAT geschrieben … Es war sehr bereichernd. Danke!!! Humor als Gewürz
Wie kam es zu diesen Aussagen? Die Teilnehmenden haben etwas erlebt: Freude, Nachdenklichkeit, Verbundenheit, wireless oder per Lan. Resonanzachsen scheinen sich auch digital spüren zu lassen. Auch dort begegnen wir lebendigen Gesichtern und offenen Ohren, wobei live zugegebenermaßen authentischer ist, klaro.
Ich werde nicht vergessen, wie es an meinem Geburtstag zu Beginn des ersten Lockdowns geklingelt hat und eine Akkordeonspielerin in unserem Garten saß, auf Abstand natürlich. Es war ein Abstand, der mir nah ging. „Die fabelhafte Welt der Amelie“ und ihre Melodien rührten mich zu Tränen. Musik tröstet und ist wie Balsam für die Seele. Abstand heißt also gar nicht, dass einem andere nicht nahekommen können. Das wollte
ich auch tun. Nun, ich beherrsche kein Akkordeon, aber ich spiele die Melodien und Töne des Clowns. Aber wie soll das gehen?
Gut, dass der Bürgermeister im Ort mir wohlgesonnen war. Heute sind wir Freunde.
„Sie wollen Clown spielen im Ort? Sie kriegen das hin, aber auf Abstand.“ Fast dreißig Clownbesuche auf Abstand habe ich im ersten Lockdown absolviert für Geburtstagskinder und deren Familien. Manchmal hatte ich bis zu vierzig Zuschauer, die alle auf Balkonen und Gärten auf Abstand blieben. Dennoch habe ich mich ihnen sehr nahe gefühlt. Ich habe für Menschen gespielt, die ich vielleicht niemals kennengelernt hätte. Was so
eine Pandemie alles möglich macht… Wenn mir das vorher jemand gesagt hätte, ich hätte ihn oder sie für verrückt erklärt. Genau das ist
es: Wir müssen uns für verrückt erklären. Das ist die Lösung! Und das war sie schon immer.
Ich war allein als Clown unterwegs und dann sogar auf Nachfrage des Rathauses auf dem Wochenmarkt, übrigens zusammen mit der besagten, irgendwie seelenverwandten Akkordeonspielerin.
Wie sagte mein einstiger Clownlehrer mal zu mir: „Die dümmste Lösung ist die Beste!“ Einfach tun, was das Herz sagt. Vielleicht ist statt dumm, das Naive, das Einfache die bessere Formulierung. Einfach Einfaches tun. Das Herz sucht Resonanz, täglich. Und es isoliert sich nicht gerne.
Im zweiten Lockdown klingelt häufiger das Telefon: „Könnten Sie sich ein Humorseminar auch online vorstellen?“
„Wissen Sie was“, sage ich, „ich habe gute Erfahrungen damit gemacht.“ Manche Teilnehmer meinten: Online ist gar nicht so schlecht. Da können wir zum Beispiel die Masken weglassen und sehen das Gesicht des anderen. In „Breakoutsessions“ sind wir dann ausgebrochen aus der Isolation, sind uns in kleinen feinen Übungen begegnet – und dann und wann flossen sogar ein paar Tränen der Rührung, aufgrund der Verbundenheit, die sich da „merkwürdiger“ Weise einstellte. Wir brauchen einander halt doch. Vielleicht wird das im Onlineformat noch bewusster als in Realpräsenz.
Und wenn ich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Seminar fragte wie es ihnen jetzt ging da sagten sie: Es ging!
Und das hat sie dann selbst überrascht. Mich mit der Zeit nicht mehr, weil es immer öfter ging.
Und ich wurde immer offensiver. Noch bevor einzelne Institutionen Seminare absagen wollten, habe ich sie prophylaktisch schon mal angerufen: „Ich habe gute Erfahrungen auch online…“
Ich hätte nicht gedacht, dass Online-Seminare so kreativ sein können und so viel Spaß machen. Mit der Abteilung eines Unternehmens habe ich so gearbeitet: „Geht in eure Wohnung und verkleidet euch so verrückt es geht und dann kommt in genau zwei
Minuten zurück. Überlegt nicht lange, sondern tut es einfach.“ Jedes Mal, wenn ich mir die Screenshots der Verrückten, auch aus anderen Seminaren anschaue freue ich mich und dann bin ich stolz wie ein kleines Kind, das auf dem Spielplatz eine neue Sandburg in den Alltag gezaubert hat.
Ein Bild – zuerst mit ernstem Gesichtsausdruck als Screenshot und dann eines mit roter Nase. Der Unterschied ist sichtbar und spürbar, für mich und die anderen. Das mit den roten Nasen ist lustiger. Und in der Krankenhausschule, wo ich mit meinem Kollegen das Ganze gemacht habe, liegen im Sekretariat die nächsten roten Nasen bereit. Sie werden gebraucht, wenn angesichts der Pandemie Humor gebraucht wird wie wenig anderes.
Und wenn wir Humorberater und Humorcoaches resignieren und uns hinter unseren Enttäuschungen über die Lage wegducken, dann sage ich: „Macht das nicht mit! Das geht doch nicht, wir werden gebraucht, mehr denn je!“
Ich habe es mir abgewöhnt, enttäuscht zu sein, wenn Seminare abgesagt wurden. Ich habe die, die stattgefunden haben allesamt genossen, mit all ihren schönen Begegnungen. Einmal hat eine Frau aus Dortmund sich zugeschalten, am Tag vorher hat sie von dem Seminar mitbekommen und noch teilgenommen. Wir hätten uns nie kennengelernt ohne Corona. Sie war eine der sensibelsten im Kurs und drückte am Ende mit Worten ihre Rührung aus. Und das berührte mich und die anderen.
Ja, geht Resonanz online oder geht es nicht? Es geht…
Immer wieder war ich verblüfft und fasziniert, welche Kanäle wir finden, um uns doch zu spüren und uns zu begegnen.
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, sagt Martin Buber.
Einmal bat ich die Teilnehmenden an eine Treppe zu denken. Alle haben es getan und ich spürte durch den Bildschirm hindurch die je eigene Phantasie der einzelnen Persönlichkeiten. Dann habe ich im Internet ein Fenster geöffnet und jede und jeder hat seine Treppe beschrieben. In nur fünf Minuten standen all diese Vorstellungen konkret vor uns. Fast alle Treppen waren anders. Es waren viele eigene Vorstellungen zu spüren. Was fast alle verbunden hat: Die Treppen führten fast durchweg nach oben. Zufall? Nein, eher Wunschdenken… Ja, Wünsche lassen sich denken. Wir können
unser Denken und unser Bewusstsein beeinflussen, weil wir mitbestimmen, womit wir unsere Gehirn und damit unser Bewusstsein beschäftigen.
Mit Humor lässt sich spielen, wie das auch ein Kind tut, das sich Gedankenspielen hingibt. Auch im Onlineformat lässt sich spielen. Ich hatte zum Beispiel einen pädagogischen Tag mit 13 Kindertageseinrichtungen. Ich spreche aber lieber von Kindergärten, weil das so paradiesische Bilder von Wachstum und Pflege in mir weckt. Den Humor müssen wir bekanntlich pflegen. Er ist wie ein natürlicher Dünger, der uns die Spielfreude erhält. Und den braucht es, wenn wir dem Ernst des Lebens und auch der Coronapandemie begegnen.
Aber zurück zu den Kindergärten. Wir haben Pakete gepackt für aller Erzieher und Erzieherinnen. Online haben wir Musik eingespielt und alle zum Spielen mit leichten japanischen Papierbällen zusammengerufen, erst allein, dann miteinander. Über den Bildschirm haben wir beobachtet und vor allem genossen, mit welch kindlicher Freude alle unterwegs waren. 150 Pädagogen und Pädagoginnen, wie Kinder, deren Übermut die Pandemie vergessen ließ. Phantastisch leicht sah das aus, wie sie sich im Spielen, im Teilen der eigenen Leichtigkeit begegneten. Vor lauter Übermut mussten manche Papierbälle freilich das Zeitliche segnen, begleitet vom Lachgesang derer, denen der Ernst erstarb. Die Pandemie war wie weggeblasen, das Lachen und die Fröhlichkeit war durch die Bildschirme hindurch greifbar geworden…
Nach dem Tag erreichte uns eine Mail mit den folgenden Worten:
„Für den gestrigen pädagogischen Tag möchte ich mich, ganz ausdrücklich auch im Namen meines Teams, ganz herzlich bedanken!!! Uns hat der Tag einfach gut getan, wir konnten wunderbar vom Alltag abschalten, haben gelacht wie schon ganz lange nicht mehr und uns endlich wieder als Gesamtteam gefühlt!!! Ganz lieben Dank dafür, dass Sie uns das ermöglicht haben.
Inhaltlich war der Tag super aufgebaut – er war abwechslungsreich gestaltet, hatte genau die richtige Balance zwischen Kleingruppenarbeit, Bewegungseinheiten, geistigem Input und Lacheinheiten!!! Mein persönlicher Gänsehautmoment war der dänische Film mit den Menschen aus unterschiedlichen Gruppierungen, die jede Menge Gemeinsamkeiten hatten – wow – der wird Langzeitwirkung haben!
Sie haben sich sooooo viel Mühe gemacht, um uns einen gewinnbringenden Tag zu bescheren – und das hat man in jeder Minute gespürt! Auch die Vorbereitungen mit den Kisten, die kleinen und großen Giveaways und der Plan B für möglichen Internet- Ausfall war schlicht und ergreifend phänomenal professionell!!!
Nochmals ein ganz dickes Dankeschön verbunden mit einem breiten Lächeln im Gesicht!!!“
„Gelernt wird vom Gehirn nur das, was uns ein bisschen unter die Haut geht“, sagt Gerald Hüther. Humor ist physisch, er ist Physis. Er liegt in unserer Natur. Das kann auch online nicht geleugnet werden. Das nimmt uns keiner, auch Corona nicht. Corona macht uns unser Angewiesensein auf den Humor nur umso deutlicher. Und Humor
geht nicht ohne Beziehung. Wo Beziehung ist, wird auch gelacht. Wie in dem
dänischen Film „All that we share“, der im Internet unendlich oft angeklickt wird und den wir am pädagogischen Tag gemeinsam angesehen haben. Es berührt, wie Menschen, die in unterschiedlichen Feldern – also Schubladen – stehen und sich äußerlich sehr voneinander unterscheiden, ihre Gemeinsamkeiten entdecken, wenn persönliche Fragen gestellt werden, zum Beispiel: „Wer von euch war früher Klassenclown?“ Die Unterschiede fallen urplötzlich ab, wenn sich die Kindsköpfe der Kindheit und Jugend zusammenfinden. Eine Solidarität wird spürbar, wenn sich Menschen, die sich eigentlich einsam fühlen, zueinander stellen. Alles Bewerten verschwindet, wenn am Ende alle spüren: Uns verbindet mehr als uns trennt. Wenn dann gelacht oder nur gelächelt wird, entsteht eine Verbundenheit, die einen fast zu Tränen rührt. Dann nämlich spüren wir, dass Humor vor allem eines ist: Menschlichkeit.
Und eines muss man Corona dann doch lassen: Die Pandemie lehrt uns, dass es keine Alternative gibt zur Mitmenschlichkeit. Die geht mit Humor allemal besser.
Und wenn unsere Nachfahren mal fragen: Wie ging es in der Pandemie? Wie ging es nach der Pandemie? Dann können wir vielleicht sagen: „aufeinander zu!“
Ludger Hoffkamp: Clown, Humorcoach, kath. Seelsorger, Gestalttrainer (IGBW), seit fast 20 Jahren Klinikclown in unterschiedlichen Projekten, die er fast alle mit initiiert hat.
Er arbeitet für die Stiftung „Humor Hilft Heilen“ (Eckart von Hirschhausen).
Seit neuestem ist er zuständig für die pädagogische Begleitung von 13 katholischen Kindergärten, die er mit dem Humorvirus infizieren will.
Er gibt Humorseminare in vielen Bereichen, vor allem im Gesundheitssystem.
Besonders liegt ihm das Thema Humor und Trauer und in Krisen und traumatischen Situationen am Herzen.