Vor einigen Tagen machte ich einen seelsorglichen Krankenbesuch bei einem behinderten, älteren Mann. Seine Frau empfing mich und bald erzählte sie mir, wie sie vor einigen Jahren bei mir im Gottesdienst war.
Sie sei damals aufgrund der Pflege ihres Mannes so übermüdet und überarbeitet gewesen, dass sie während des Gottesdienstes vom Stuhl gefallen war (die entsprechende Kirche ist statt mit Bänken mit Stühlen ausgerüstet).
Ich hätte damals gesagt: Jetzt halte ich eine so schöne Predigt und diese Frau fällt vom Stuhl! Ich prüfte mich und musste mir eingestehen, dass ich dies gesagt haben könnte. Allerdings fand ich es jetzt reichlich deplaziert und nicht gerade einfühlsam. Doch die Frau lächelte, als sie diese Begebenheit erzählte.
So konnte ich mir sagen: Sie hat es nicht übel genommen und sie empfand den Kontrast zwischen ihrer damaligen Übelkeit und meinen Worten irgendwie verwunderlich. Humor mit einer verzögerten Langzeitwirkung.
Frank Farrelly, der Begründer des provokativen Humors, hält bei seinen Kursen jeweils ein Plädoyer, dass man den eigenen spontanen Eindrücken trauen soll. Und er hat keine Bedenken, seine Einfälle – so abstrus sie auch erscheinen mögen – dem Klienten mitzuteilen. Er fügt höchstens noch ein „You know what I mean“ bei.
Vor einiger Zeit rief mich der Gemeindeleiter an, ich möge doch ins Krankenhaus im benachbarten Ort gehen, um im Zimmer soundso einem Herrn M. die Krankensalbung zu spenden. Seine Frau hätte ihm jedoch mitgeteilt, ihr Mann hätte von ihr den Revolver verlangt, der im Nachttischchen liegen würde. Er selbst käme mit seinem Krebstumor im Gehirn nicht mehr zurecht, das Leben hätte für ihn keinen Sinn mehr. Ich ging also hin, seine Angehörigen waren um das Bett des Kranken versammelt, und ich sagte zum Kranken: Sie können es ja nicht genug schnell mit dem Sterben haben! Er lächelte und die Angehörigen, die rings ums Bett standen oder saßen, schmunzelten ebenfalls. Dann sagte er: Nun, Herr Pfarrer, dann geben sie mir halt die Krankensalbung. Nützt nüt, so schadet nüt. Er lebte dann doch noch ein gutes Jahr mit seinen Angehörigen Zuhause, die sein Leben liebevoll erleichterten.
Auch diese Begebenheit ist ein Plädoyer für eine diesmal gelungene humorvolle Spontanreaktion. Leider lässt es sich manchmal erst später ausmachen, ob man ins Schwarze getroffen hat: Wer wagt, gewinnt, heißt es, doch er kann auch verlieren. Manchmal gilt es nach einem Wort von Theo Lingen, mit Humor eine famose Turnübung zu machen, bei der man die Situation auf den Arm nimmt.
Dass der Humor auch aus einer tiefen Altersweisheit in einer gewissen Nachdenklichkeit entstehen kann, fand ich wiederholt im Erzählband von Stefan Heym (1913-2001):
„An allem sind die Männer schuld“ (C. Bertelsmann-Verlag 2002). Kleine Alltagskatastrophen werden in einer liebenswerten, humorvollen Weise geschildert, die immer wieder das Wunder der Liebe zeigen, die auch im Alter noch jung sein kann.
Dafür ein kleines Beispiel, das Sie vielleicht auch an das Wort von Albert Camus zu erinnern vermag: „Die Phantasie tröstet die Menschen über das hinweg, was sie nicht sein können, und der Humor über das, was sie tatsächlich sind.“
„Hässlich bist du geworden!“, sagt mein Weib zu mir beim Frühstück und mustert mich mit kritischem Blick, und ich möchte mich am liebsten verkriechen, obwohl ich meine Quarksemmeln noch vor mir hab.
Ich denk mir, soll ich ihr sagen, geh du mal und kuck in den Spiegel auf dich selber, aber ich sag’s nicht zu ihr, denn sie hat was Innerliches, was ihr Gesicht verschönt auf eine ganz eigene Art und was mir ans Herz rührt.
Sogar früh am Morgen schon und außerdem hat sie im Vorjahr, wie ich schon dreiviertel tot war, an meinem Bett gesessen Tag um Tag im Spital und mir die Hand gehalten und den Tod abgewehrt von mir, mit Hingebung und mit Gebet und so sag ich zu ihr: „Dankeschön für den freundlichen Hinweis, aber was soll ich machen gegen das Schwinden von Schönheit und von Gestalt?“
Und sie sagt, „Vielleicht solltest du einfach ein bissel freundlicher sein, wenigstens manchmal, das möchte dir helfen“, und gleich versuch ich ein freundliches Gesicht zu machen, aber fürchte bei mir, hilft kein freundliches Gesicht mehr, so sehr ich mich auch anstrenge und die Zeit und mein Genörgel haben aus mir gemacht einen hässlichen, alten Kerl.
Da sagt mein Weib: „Jeder hat eine Aura. Die Aura, damit du es weißt, ist wie eine Strahlung von deiner Persönlichkeit, welche ausstrahlt von deinem Innern. Jeder hat eine Aura, aber die Leute pflegen sie nicht, ihre Aura.
Sie fressen und saufen und tun dies und tun das, sie geben ein Vermögen aus für die Pflege von ihrer Haut und von ihren Füßen, aber von ihrer Aura? Dabei wär die Aura, glaub ich, dankbar für jede, wie man sagt, Zuwendung, sogar die kleinste; jeder Pudel kriegt mehr Zuwendung als die Aura; dabei wenn du irgendwo gehst in Gesellschaft, was zählt?
Dein Sakko vielleicht? Deine Reden, deine gescheiten! Dein Interview im Fernsehen, dein letztes? – Nein, deine Aura! Kuck dir an, um wen die Menschen sich drängeln, um dich vielleicht mit deiner vermickerten Aura?
„Ich gebe zu: Um dich drängeln sie.“ Dann beug ich mich und küss die Hand von meinem Weibe, und sag ihr: „Du hast so was Atmosphärisches, wo ich nichts hab, und wenn du was sagst, dann klingt es als käm es von deinem Herzen, und wenn du verziehst deinen Mund zu deinem Lächeln verströmst du was man nennt Charme.“
Und ich sehe wie sie aufblüht wie ich so rede, und mich anguckt, als würd sie mir gleich fallen um meinen Hals, und ich hör wie sie mir sagt mit tiefen Ernst und mit Gefühl: „Meine Aura!“ Da siehst du wie sie wirkt, meine Aura!
Und ich sag mir, ein andermal könnt es auch sein meine Aura, welche wirkt; ich muss nur reden mit meinem Weib auf die richtige Art und mit den richtigen Tönen.
Ludwig Zink CH-8126 Zumikon
ehem. Vizepräsident von Humorakel Liechtenstein
HCD-Mitglied