Die Herkunft des „Sündenbocks“
Bismarck war einer, das meinte er jedenfalls selbst. 1866 erklärte er: „Überall macht man mich verantwortlich für eine Situation, die ich nicht geschaffen, sondern, die mir aufgedrängt worden; ich bin für die öffentliche Meinung der Sündenbock.“
Da ist der Bock schon zur Metapher geworden, Bild für einen, den nach eigener Meinung keine Schuld trifft, der aber dennoch Schuld auf sich nehmen und dafür leiden muss, wenigstens nach Meinung der Öffentlichkeit.
Man kann einen solchen Wortgebrauch auch noch flapsiger von seinem Ursprung entfernen, indem man den Titel einer Farce des großen französischen Komödienschreibers Feorges Feydeau zitiert: „Einer muss der Dumme sein.“ Der Bock ist immer der Dumme. Er kann nur nichts dafür.
Geht man ernsthaft an die Sache ran, dann muss man die Bibel aufschlagen, das Alte Testament. Da wird im dritten Buch Moses, auch Leviticus genannt, im 16. Kapitel eine ziemlich komplizierte Prozedur nicht nur beschrieben, sondern vom HERRN befohlen (die Luther-Bibel von 1912 schreibt den Herrn immer mit großen Buchstaben).
Um alles, was da angeordnet wird, genau zu verstehen, müssten wir einen längeren Ausflug in die Theologie des Alten Testaments unternehmen. Da wir aber nur auf der Suche nach dem Sündenbock sind, lassen wir den sicherlich interessanten und lehrreichen Umweg aus.
Von einem inwendigen Heiligtum ist die Rede, von einem Gnadenstuhl hinter einem Vorhang. Da soll, so spricht der HERR zu Mose, dessen Bruder Aaron reingehen „mit einem jungen Farren zum Sündopfer und mit einem Widder zum Brandopfer“. Farre ist ein junger Stier. Aaron soll sich die „heiligen Kleider“ (aus Leinen) anlegen, vorher aber „sein Fleisch mit Wasser baden“.
Das Heiligtum wird nun, der Sünden wegen, durch Schlachten der Tiere und anschließende Blutsverteilung im Heiligtum gereinigt.
Dann wird ein lebender Bock gebracht. „Da soll Aaron seine beiden Hände auf sein Haupt legen und bekennen auf ihn alle Missetat der Kinder Israel und alle ihre Übertretung in allen ihren Sünden, und soll sie dem Bock auf das Haupt legen und ihn durch einen Mann, der bereit ist, in die Wüste laufen lassen, dass also der Bock alle ihre Missetat auf sich in eine Wildnis trage; und er lasse ihn in die Wüste.“ Das ist also der Sündenbock, dieses arme Vieh, das nicht weiß, wieso ihm dies alles geschieht.